112) Nicht Sherlock Holmes

by zora

Samantha MacMillan blickte uns neugierig zu.
„Wollen Sie denn nicht auch alles genauer anschauen?“
Wir schüttelten unisono die Köpfe.
„Nein“, antwortete Curtis, „wir ziehen es vor, unsere kleinen grauen Zellen zu benützen. Ich und meine Begleiterinnen zählen sich nicht zu den Anhängern des Mr. Holmes.”

Sie lächelte süffisant und schritt davon.
Eine Stunde später trafen sich wieder alle Detektive im Esssaal unten. Belle und ich hockten da und rauchten Zigarren. Wir taten dies nicht, weil wir es besonders liebten, sondern weil wir Fattie ärgern wollten. Dies gelang uns tadellos. Dieser lief knallrot an, als er uns erblickte, drehte auf dem Absatz um und ging wieder zurück in sein Schlafzimmer. Nun war Miss MacMillan an der Reihe, uns böse zu taxieren.
Die alte Dame liess durch ihr Sprachrohr, das heisst ihre Nichte Clara, verlauten, dass sie annehme, dass einer der Hausangestellten seinen Herrn ermordet habe. Die schwarzhaarige Frau, von der wir inzwischen wussten, dass sie Lupe Maharano hiess und aus Argentinien stammte, sog an ihrer Zigarette, die in eine Spitze geklemmt war. Sie schien sich, genau wie Belle und ich, über die Leute um sich zu amüsieren.
Clara schien es sichtlich zu geniessen, dass sie mit ihrer Rede im Mittelpunkt stand und ihr die meisten Detektive das Ohr liehen. Die alte Dame thronte neben ihr und schien genau zu überprüfen, ob die kleine auch ja das wiedergab, was sie ihr aufgetragen hatte. Ich mochte die nicht im geringsten.

Jeder der Detektive, also auch wir, hatte nun die Möglichkeit, sich unabhängig von Samantha und den anderen im ganzen Haus umzuschauen. Johansson schlug uns vor, dass wir uns in meinem Schlafzimmer treffen würden.
Der Hausdiener brachte uns eine Flasche Sherry, die wir rasch bis zur Hälfte austranken.
„Ich glaube, meine Damen, wir haben es hier mit einem der seltsamsten Fälle unserer Karriere zu tun. Ich bezweifle, dass der Lord von einem Hausangestellten getötet wurde. Ich bezweifle die Identität von Samantha MacMillan. Und ich muss sagen, dass mir das Essen hier nicht im geringsten schmeckt. Ich stelle die These auf, dass der Lord langsam verhungert ist, weil er weder Haggis noch das andere mochte.“

Belle prostete ihm zu.
„Curtis, Sie haben ja so recht. Wo sind wir hier? Was tun wir hier? Ich meine, warum müssen wir diesem Mädelchen helfen, dass sie ihr Erbe erhält? Sind wir etwa die Heilsarmee?“
Ich sprach einen Toast aus.
„Auf dass wir diesen Fall nicht auflösen müssen!“

Belle und ich waren gerade dabei, unsere Koffer zu packen, als Samantha Macmillan in der Tür stand und sagte:
„Bitte gehen Sie nicht. Sie wissen ja nicht, was Sie draussen erwartet! Es regnet seit Stunden, alle Bäche und Flüsse sind angeschwollen. Es ist waghalsig, jetzt das Haus zu verlassen. Wenn Sie mir helfen und den Fall aufklären, verspreche ich Ihnen, dass ich Sie reich machen werde!“
Ich blickte Belle durchdringend an.

„Ich glaube nicht, Miss, dass Geld und Reichtum überhaupt ein Mittel sind, um uns am Gehen zu hindern. Ich bin so reich, dass ich mir das Hobby, Morde aufzuklären, einfach so leisten kann. Ich brauche das Geld, das Sie noch gar nicht haben, nicht, Miss.“
Sie drehte sich wutentbrannt von uns ab und verschwand wieder im Flur.
„Der hast du’s aber gegeben, Lavie“, sagte meine Freundin.
Kaum recht hatte sie dies ausgesprochen, stapfte Curtis ungewohnt hastig in unseren Raum.
„Louise Van Roth ist tot.“